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Authentizität im Glas – Interview mit I. Legeron

Authentizität im Glas – Interview mit I. Legeron
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Naturweine gelten als allerletzter Schrei der Weinwelt. Wer mit möglichst wenigen Zusatzstoffen arbeitet, ohne Schwefel auskommt und den Einfluss der Technik begrenzt, wird mit Aufmerksamkeit überhäuft. Die Französin Isabelle Legeron, Veranstalterin der Weinmesse RAW, fördert die Natural Wines, will allerdings niemanden bekehren, sondern dem Verbraucher eine echte Wahl ermöglichen.

Streiten kann man über Sinn und Unsinn des Naturweines sehr wohl. Manche Geniesser schätzen den konservierenden Einfluss des Schwefels, der bestimmte Weinstile erst ermöglicht, andere lieben den Charakter eines Weines, dem kein einziges Milligramm SO2 zugefügt wurde. Moderne Technik ist für einige Winzer nicht wegzudenken, während andere zu den Wurzeln ihrer Großväter zurückkehren oder gar noch weiter gehen wollen.

Dazwischen gibt es viele Ideen und Kompromisse. Während manche Produzenten eben doch eine kleine Menge Schwefeldioxid verwenden, verbannen sie konsequent industriell hergestellte Reinzuchthefen. Biodynamische Methoden wiederum können, müssen aber nicht mit der Naturweinproduktion einhergehen.

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Auf der Weinmesse RAW, die vor kurzem erstmals in Berlin stattgefunden hat, werden ausschliesslich Naturweine aus vielen Gegenden der Weinwelt gezeigt – gelungene und weniger gelungene Beispiele. Dass die Deutschen im Vergleich mit den Winzern anderer Länder noch deutlich zurückliegen, steht für Isabelle Legeron fest.

Die gebürtige Französin, die erfolgreich die Ausbildung zum Master of Wine absolviert und die RAW ins Leben gerufen hat, setzt sich wie kein anderer Experte für den Naturwein ein. Dass sie selbst auch nur solchen trinkt, ist kaum überraschend.

Frau Legeron, ist Naturwein immer dem eher auf technische Weise hergestellten Wein überlegen?

Ich bin nicht auf einem Kreuzzug. Ich möchte einfach die Menschen befähigen, Wein zu kaufen. Ich glaube dass man Weine mit wahrer Grösse erhalten kann, wenn man Traubensaft vergären lässt, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen. Es sind Weine mit mehr Persönlichkeit und, wie man sagen kann, mit mehr Authentizität.

Persönlich trinke ich auch nur Naturweine, da sie jene Weine sind, die am stärksten mit mir mitschwingen. Allerdings heisst es nicht, dass alle Naturweine besser sind als alle konventionellen Weine, nur weil ich sie bevorzuge.

„RAW“ Gründerin und Naturweinliebhaberin

Ich glaube, dass zumindest alle Weine aus biologisch bewirtschafteten Flächen stammen sollten – der Schaden, welcher der Umwelt durch den Gebrauch von Pestiziden und Herbiziden zugefügt wird, ist wirklich nicht zu akzeptieren.

Aber ob man Hefe zusetzt oder nicht, ist Ansichtssache. Es ist dann nichts, was ich persönlich trinken möchte, aber ich akzeptiere vollkommen, dass es jemand anderes Ding ist.

Für mich ist der Schlüssel, dass die Weinindustrie Transparenz schafft. Es ist absurd, dass es für Wein keine gesetzliche Verpflichtung gibt, die Zutaten auf dem Rückenetikett aufzuführen.

Wir nehmen das Zeug zu uns, aber dennoch haben wir keine Ahnung, was wir trinken.

Daraus folgt, dass viele, viele Weintrinker glauben, dass Wein einfach vergorener Traubenwein sei, unbeschadet der Tatsache, dass der meiste Wein tatsächlich mit Zusätzen gemacht wurde.

Und obwohl nichts falsch ist, wenn man Zusätze während der Weinproduktion nutzt, solange diese nicht gesundheitsschädlich sind, ist es falsch, dass der Weintrinker, also die Person, die den Wein dem Körper zuführt, keine Ahnung und tatsächlich keine Freiheit hat, etwas anderes auszuwählen.

Genau das war der Grund, weshalb ich RAW erfunden habe. Mein Ziel war, einen Dialog mit den Weinmachern zu eröffnen und alle Zusätze, falls da welche sind, auf der Messe-Website und im Katalog zu listen. Und das funktionierte.

Also akzeptieren Sie, wenn der Winzer sagt: Ich möchte eine leichte Filtration oder eine kleine Menge Schwefeldioxid, um auf Nummer sicher zu gehen?

Natürlich, ein Winzer muss seinen Überzeugungen folgen. Wir als Konsumenten müssen aber in einer Position sein, unseren zu folgen. Es ist wirklich ganz einfach. Wir erwarten das vom Essen, das wir kaufen, also warum nicht vom Wein?

Wie sieht es mit deutschem Wein aus?

Ich glaube, dass deutscher Wein eine starke kulturelle Verbindung zu Schwefeldioxid hat. Ironie pur angesichts der Tatsache, dass ich während der Recherchen für mein Buch „Natural Wine: an introduction to organic and biodynamic wines made naturally“ entdeckte, dass einige der ersten Gesetze, die in Verbindung mit dem Gebrauch von Schwefeldioxid standen, tatsächlich aus Deutschland kamen.

Ich glaube, das es im 15. Jahrhundert war, als ein deutscher Offizieller im Rahmen einer Verordnung streng den Gebrauch von brennendem Schwefel in den Fässern beschränkte.

Alles was man tun muss, ist zu schauen, wie viele Winzer in Deutschland tatsächlich Weine ohne den Gebrauch von SO2 erzeugen und dies mit Frankreich, Italien oder sogar Österreich zu vergleichen. Nochmals, ich glaube nicht, dass irgendetwas falsch ist, wenn man Schwefeldioxid zusetzt, aber ich glaube, dass man sicherlich in Deutschland weniger Weinmacher findet, die komplett ohne SO2 arbeiten als anderswo in Europa.

Dazu kommt, dass ich in vielen Gesprächen mit deutschen Winzern, die Cuvées ohne Zusätze herstellen, gehört habe, wie schwierig es für diese ist, sie in ihren lokalen Märkten zu verkaufen. Es scheint eine Abneigung zu geben, bei Winzern und Konsumenten, SO2-freie Weine anzunehmen. Allerdings ändert sich das gerade definitiv: Wir haben gesehen, wie viele Menschen die RAW Berlin im November besucht und sie sehr geschätzt haben.

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Die Menschen können also eine neue Weinwelt entdecken, wenn sie beginnen, Naturweine zu verkosten?

Wenn man daran gewöhnt ist, Weine zu trinken, die in einer technischen Art erzeugt wurden, mit Aromahefen oder der Blockade des Säureabbaus, und dann sich selbst plötzlich wiederfindet mit der gleichen Rebsorte, ganz anders erzeugt, mit einem ganz anderen Aromenprofil, wird es einen natürlich zuerst verblüffen.

Wenn man sein ganzes Weintrinkerleben geglaubt hat, dass Sauvignon blanc ein sehr spezifisches Profil hat, von heller Farbe und stahlig am Gaumen, und jemand gibt dir ein Glas von Sébastien Riffaults Sancerre mit tiefem Gold, Honignoten und cremiger Textur, wird es ein Schock sein.

Wie wird die Situation in 20 Jahren sein? Wird Naturwein so geläufig sein wie technisch gemachter Wein heute?

Ich hoffe es schwer! Wäre es nicht grossartig, wenn man in irgendeinen Weinladen ginge und sicher wäre, mit einer Menge an aufregenden Flaschen herauszukommen? Dennoch, wenn man die Natur der Sache betrachtet, ist Naturwein vielleicht dazu bestimmt, eine Nische zu bleiben. Man kann ihn nicht im ganz grossen Stil erzeugen, und er verlangt eine Menge Handarbeit. Ich weiss, dass eine steigende Zahl an Winzern Naturwein aus Marketinggründen macht, aber sie werden nie wirklichen Naturwein machen.

Ich bin sicher dass in Zukunft mehr Naturweine vorhanden sein werden als jetzt – ich habe die Zunahme schon während der letzten fünf Jahre mit RAW bemerkt. Mehr und mehr Winzer sind inspiriert, Wein auf eine andere Weise zu machen – ihre Pflanzen zu pflegen, mit und nicht gegen die Natur zu arbeiten und Lebendigkeit in ihren Weinen zu bewahren. Und immer, wenn das passiert, ist ein möglicher Naturwein geboren. Und das ist einfach wunderbar.

Weitere Information unter:

RAW Weinmesse

Isabelle Legeron

Über den Autor

Wolfgang Faßbender ist seit 25 Jahren als freier Journalist in den Bereichen Wein und Gastronomie tätig. Der gebürtige Leverkusener hat mehr als 80 Bücher geschrieben oder herausgegeben, arbeitet für viele Zeitschriften und mehrere Zeitungen, testet sich als Restaurantkritiker durch die Welt.

Er pendelt zwischen seinen Wohnsitzen im Rheinland und Zürich.

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