Hierzulande kennt man ihn als billig und süss. In seiner Heimat Emilia Romagna kommt der italienische Prickler aber meist trocken in die Flasche und ist ein beliebter Essensbegleiter.
Bei manchem Pizza-Lieferservice ist es üblich, zu einer grösseren Bestellung eine Flasche Wein gratis dazu zu liefern. Natürlich eine günstige – und sehr oft fällt hier die Wahl auf Lambrusco. Schön süss, am besten in der Literflasche. Auch dieser Umstand hat dazu beigetragen, dass das Image des roten Pricklers ausserhalb Italiens nicht das Beste ist.
Kommt man aber in seine Heimat, die Emilia Romagna in Mittelitalien, lernt man den Lambrusco ganz anders kennen. Denn er ist zwar auch hier überwiegend ein Alltagswein, gut zugänglich, nicht teuer – aber als süss kennt man ihn eher nicht.
Süss nur für den Export
Laut dem Consorzio Tutela del Lambrusco di Modena werden nur 15 % des Weines in der süssen Variante „Amabile“ produziert. Knapp zwei Drittel des Lambrusco insgesamt werden aber exportiert – und die süssen Weine gehen fast ausschliesslich in andere Länder.
„Der Amabile wird in der Emilia Romagna fast gar nicht getrunken, höchstens ab und zu zum Dessert“, berichtet die Konsortiums-Mitarbeiterin Beatrice Berselli. Und nicht nur das: Bis in die 1970er Jahre gab es süssen Lambrusco quasi überhaupt nicht.
„Er ist eine Erfindung der grossen, industriellen Erzeuger, und er wurde gezielt für die Auslandsvermarktung erdacht“, erklärt Alberto Lini, Inhaber des Familienweingutes Lini 910. Bei ihm wiederum gibt es den Lambrusco nur in der trockenen Version – und überdies nur als Spumante, keine Frizzanti mit künstlich zugesetzter Kohlensäure. Seine Lambruschi wie der Scuro In Correggio oder der Gran Cuvée di Lambrusco In Correggio zählen zu den Premiumversionen. Und trotzdem verkauft auch er mittlerweile mehr als die Hälfte ins Ausland.
Fans gibt es trotzdem
Dennoch dominieren die grossen Genossenschaften den Markt: Von rund 8000 Winzern, die Lambrusco anbauen, füllen ihn nur 48 selbst ab. Dazu kommt, dass Lambrusco – ohne Herkunftsbezeichnung IGT oder DOC – nicht in seiner Herkunftsregion abgefüllt werden muss. So gelangt er als Fasswein in grosse Kellereien, und dort kommen dann die beträchtlichen Mengen des sehr einfachen roten Pricklers her.
Glücklich ist die italienische Weinszene mit dem Resultat der Idee, Lambrusco überwiegend süss und sehr preisgünstig zu exportieren, heute nicht: „Die Strada di Lambrusco hatte damals leider ein Blackout in Bezug auf die Marketing-Strategie“, urteilt etwa Alessandro Torcoli, Herausgeber der italienischen Weinzeitschrift „Civiltà del Bere“. Dennoch muss er zugeben, dass es zumindest eine weltweite Fangemeinde gibt: „Er ist ohne Zweifel einer der wichtigsten Weine der Welt, die Begeisterung für ihn ist genauso gross wie z. B. für Champagner.“
Trocken – aber mit fruchtigem Charakter
Auch in der trockenen Version ist der Lambrusco sehr fruchtbetont: Seine typischen Aromen sind Erdbeere, Himbeere und Hibiskusblüten. Dazu sei er „einer der italienischen Weine, die ihr Terroir am besten zur Geltung bringen“, meint Alessandro Torcoli. In der Region um die Stadt Modena wächst er meist auf fruchtbaren, leicht kalkhaltigen Lehmböden, und so zeigt er sich manchmal regelrecht kreidig und erdig am Gaumen.
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Wer zudem auf eine kräftigere Säurestruktur Wert legt, freundet sich wahrscheinlich mit der Variante Lambrusco di Sorbara an. Dunkel und besonders fruchtig ist der Wein aus der Traubensorte Lambrusco Grasparossa, etwas leichter im Geschmack sind meist die Weine aus Lambrusco Salamino. Wer aber generell vor rotem Spumante zurückschreckt, für den gibt es Lambrusco auch als Rosé.
Die Cantina Sociale di San Martino in Rio ist eine der grossen Genossenschaften der Region. Sie produziert überwiegend Fasswein für andere Grossabnehmer – aber auch eigene Weine in der Linie „Rio“. Das sind dann die klassischen Lambruschi: dunkel, fruchtig, harmonisch, zu kundenfreundlichen Preisen. „Man trinkt ihn am besten zu Prosciutto, Salami, reifem Käse wie Parmesan oder auch kräftigen Pastagerichten“, empfiehlt der Mitgliedswinzer Christian Incerti.
Auch Grundlage für Edel-Essig
Ähnlich sieht es bei der Cantina Settecani Castelvetro aus. Neben einem grossen Teil Fasswein produziert die Genossenschaft selbst einige ambitioniertere Alltagsweine, teilweise von alten Reben und mit Nachhaltigkeitszertifikat. „Amabile produzieren wir kaum, und dieser wird hauptsächlich nach China exportiert“, berichtet die Mitgliedswinzerin Daniela Vaschieri. Ein bedeutender Teil der Produktion gehe aber auch als Most in eine andere Branche:
Denn aus der Lambrusco-Traube wird nicht nur der gleichnamige Wein hergestellt. Sie ist, neben dem weissen Trebbiano, auch die Grundlage für den Edel-Essig Aceto Balsamico di Modena. In der Region ist die Rebfläche, nach einem jahrelangen Rückgang, zuletzt wieder etwas gewachsen. „Die Nachfrage steigt wieder, auch durch einen wachsenden Tourismus in der Region“, hat etwa Christian Incerti beobachtet. Und wer Lambrusco einmal in seiner ursprünglichen Form mit einem passenden Essen probiert hat, so die Hoffnung vieler hier, wird seinen bisherigen Eindruck vielleicht korrigieren.
Alberto Lini etwa sieht schon erste Fortschritte: „In den USA hat man 30 Jahre lang süssen Lambrusco getrunken. Aber seit etwa zehn Jahren ist dort die trockene Variante auf dem Vormarsch.“ Übrigens: Auch wenn Lambrusco ein Essensbegleiter ist – als Pizzawein sieht man ihn in seiner Heimat überhaupt nicht. Denn Italien trinkt man zu Pizza klassischerweise: Bier.