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Gereifte Weine – Vom Charme der „alten Knochen“

Gereifte Weine – Vom Charme der „alten Knochen“
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Es gibt einen merkwürdigen Trend in der Weinwelt, gerade auch bei uns. Weißweine, die erst zwei, drei Jahre hinter sich haben oder gar noch älter sind, werden von dem meisten Weinkäufern links liegen gelassen. Bei Rotweinen sieht das etwas anders aus, die dürfen gerne einige Zeit lagern, speziell wenn sie aus dem Ausland stammen. Aber auch hier steigt die Tendenz zu mehr Jugendlichkeit sozusagen.

Nun ja, für alles gibt es Gründe. Man braucht sie ja nicht immer nachahmen. Ich selbst verkoste schon aus beruflichen Gründen sehr viele gerade auf den Markt kommende junge Weine, mache aber privat gerne auch Ausflüge in die hinteren Weinkellerregionen und werde fast immer nie enttäuscht. Was ich abends trinke, entscheide ich je nach Lust, Gast oder Anlass.

„Alte Knochen“ sind nicht selten begnadete Zungentänzer und Gaumenschmeichler. Und eine schöne Petrolnote bei einem alten Riesling etwa weiß ich sehr zu schätzen, wenn die anderen Komponenten dahinter nicht völlig untergehen. Zugegeben, diesen Geschmack mögen nicht alle. Gut so, sonst gäbe es ja nur noch gereifte Weine zu kaufen.

<pVielfalt an Geschmacksangeboten. Hauptsache gut. Mindestens. Und weil die Jurorinnen und Juroren der selection in der Regel relativ junge Weine verkosten, macht es einfach Spaß, zumindest hin und wieder auch gereifte Gewächse zu bewerten. Für den nachstehenden Artikel konnte ich unseren erfahrenen Juror Dr. Ulrich Schoeler gewinnen, der sich auch als Tischleiter für diese Verkostung beworben hatte.

Wolfgang Hubert

Vom Reiz reifer Weine

In den vergangenen 20, 30 Jahren hat sich unser Weingeschmack mehr und mehr zu den frischen, fruchtigen und jungen Weinen hinentwickelt, die oft auch trocken ausgebaut werden. Dieser Trend zum leichten Genuss ist auch international und wird ermöglicht durch verbesserte Kellertechnik, aber auch durch die Verwendung neuer Flaschenverschlüsse, etwa Schraubverschluss und Glasstopfen, die den Luftzutritt minimieren.

Zurückgedrängt wurde die Wertschätzung gereifter Weine, die vom Weinliebhaber mehr Aufmerksamkeit beim Probieren verlangen und auch mehr Aufwand beim Lagern. Nicht zuletzt finanzielle Gründe haben viele Weingüter dazu gebracht, auf den neuen Trend zu setzen. Denn eine Ernte, die erst nach 5 Jahren in den Verkauf kommt, bindet in dieser Zeit viel Kapital. Und falls sich der Wein in dieser Zeit nicht wie erwartet entwickelt, kommt ein zusätzliches finanzielles Risiko hinzu.

Was bringt das Altern von Wein?

Juror Dr. Ulrich Schoeler
Juror Dr. Ulrich Schoeler

Das Ziel muss schon vor dem Ausbau im Keller festgelegt werden. Es geht nicht, einen schnell verkaufsfähigen Wein herzustellen und dann nach der Füllung einfach zu entscheiden, der soll ein paar Jahre auf der Flasche nachreifen.

Wichtigste Voraussetzung ist ein sauberer Most mit genügend Extrakt. Eine gute Altersversicherung sind dann eine kräftige Säure, ein Restzuckergehalt im lieblichen oder süßen Bereich und natürlich auch genügend schweflige Säure die das Bakterienwachstum unterbindet und übrigens reduzierend wirkt. Jung schmeckt ein solcher Wein „anstrengend“.

Ein Großer aus dem Rheingau sagte im kleinen Kreis einmal vor vielen Jahren, dass die ersten vier bis fünf Jahre seine Weine garstig schmecken würden – „garstig“! Solche Weine lagen auch mehrere Monate länger im Holzfass und hatten einen Korken als Verschluss, der über die Jahre einen geringen Sauerstoffzutritt garantierte, was wichtig für eine langsame Reifung ist. Nach 10 Jahren waren solche Weine auf dem Höhepunkt und waren auch nach 20 Jahren noch ein Erlebnis. Das mussten nicht Auslesen und höherwertige Kostbarkeiten sein, das gelang auch mit Spätlesen.

Ich erinnere mich lebhaft, wie im Rheingauer Weinseminar der Seminarleiter Hans Reinhard Enge eine Flasche 17 Jahre alten Riesling kredenzen ließ und der große Saal der Brömser Burg in Rüdesheim sich mit einem wundervollen Duft füllte.

Damit ist die Besonderheit reifer Weine angesprochen: sie sind oft intensiv. Bei der Alterung nehmen die frischen blumigen Aromen ab und machen einer Vielzahl kräftiger Aromen Platz, die an Sherry erinnern, der von vornherein oxidativ ausgebaut wird. Sherry wird ja wegen seines intensiven Geschmacks in der guten Küche geradezu als Gewürz verwendet.

Der Unterschied zwischen einem Sherry und einem reifen Riesling liegt vor allem in der Säure. Beim Reifen von Trauben nimmt generell der Säuregehalt ab und das kann bei hochgrädigen Weinen dazu führen, dass zwar genügend Zucker gebildet wurde, aber die notwendige Säure fehlt, um einen ausbalancierten Wein zu bilden.

Vor allem in warmen Nächten wird in den Trauben vermehrt Säure abgebaut. Deshalb gedeiht der Riesling im kühlen Klima am besten und zeigt nur hier die feinste und eleganteste Säure aller Rebsorten. Dass selbst in Trockenbeerenauslesen noch genügend Säure vorhanden sein kann, macht die Besonderheit des Rieslings aus.

Der Unterschied zwischen reif und firn

Auch auf der Flasche wird die Säure abgebaut. Dann wird irgendwann aus der eleganten, glatten, fruchtigen Säure eine raue Angelegenheit, die Säure wird „staubig“, Diese „staubige Säure“ ist das sicherste Zeichen, dass der Wein überaltert ist, er ist „firn“ (althochdeutsch firni = vorjährig).

Noch später würde er dann „matt“ oder „fertig“. Solche Weine haben auch eine dunkle Farbe und manchmal ist das Problem schon an der geschlossenen Flasche erkennbar. Dann ist das Luftpolster unter dem Korken nicht 2 cm hoch, sondern 5 cm und mehr.

Doch bekanntlich gibt es keinen Nachteil ohne einen Vorteil. Firne Weine sind sehr bekömmlich und der Verwalter eines großen Weingutes bekannte offen, aus gesundheitlichen Gründen nur noch die „alten Knochen“ zu trinken. Wer jedoch einen firnen Wein wegschütten will, sollte ihn probeweise mit Mineralwasser mischen.

Es kann eine interessante Schorle dabei entstehen. Nebenbei lassen sich manchmal auch andere Weine mit einer übertriebenen Eigenart so verwenden, etwa bei zu viel Säure. Für Weine mit richtigen Fehlern gilt das natürlich nicht. Eine „Böckserschorle“ wäre schon als Körperverletzung zu ahnden.

Reife, auch „edelfirn“ genannte Weine mit einer komplexen Blume, einem vielschichtigen Geschmack, einer fruchtigen Säure und einem langen Abgang trinkt man nicht alle Tage, sondern zu besonderen Gelegenheiten, zum Beispiel auch, wenn ein alter Weinfreund zu Besuch ist, der diese Weine noch im jungen Zustand probiert hat. Dann wird ein weiterer Bestandteil der Weinkultur erlebt, die Nostalgie.

Dr. Ulrich Schoeler

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