zurück

Vergessene Reben und andere Kuriositäten im Wallis

Vergessene Reben und andere Kuriositäten im Wallis
Copyright iStockphoto genekrebs

Im hinteren Teil des schweizerischen Wallis existieren mehr alte Rebsorten als in den meisten Regionen Europas. Auf wenigen Hektar konnten sich Cornalin und Amigne, Gwäss und Lafnetscha halten. Für Rebsortenforscher eine unerschöpfliche Schatzgrube, für Weintrinker ein geschmackliches Abenteuer. Die meisten Kuriositäten kann man ohne grössere Probleme kaufen – und auf diese Weise ein paar Schlucke flüssiger Geschichte zu sich nehmen.

Josef-Marie Chanton macht es sich nicht leicht. Schon gar nicht mit dem Gwäss, einer der kuriosesten Rebsorten des kleinen Walliser Weinguts. „Früher hiess es, dass man drei Männer bräuchte, um den zu genießen – einen, der trinkt und zwei, die ihn festhalten“, scherzt Chanton. Eine nette Anekdote, ein Hinweis auf die Besonderheiten der historischen Varietät.

Gwäss hat viel Säure und wenig Alkohol, schmeckt eher neutral und ist in schlechten Jahren nicht allzu attraktiv. Da musste man sich früher tatsächlich überwinden, um mehr als ein Glas zu sich zu nehmen. Es ist durchaus verständlich, dass Gwäss im Laufe der Jahre immer seltener und durch modernere Sorten ersetzt wurde.

HISTORISCHE BEDEUTUNG

Dass der Oberwalliser Winzer Chanton heute wieder Gwäss an- und ausbaut, hat weniger mit der Klasse des Weines zu tun als vielmehr mit dessen historischer Bedeutung. Aus Gwäss, der in Deutschland auch unter dem Namen Heunisch bekannt wurde, entstanden nämlich im Laufe der Jahrhunderte unzählige heute berühmte Rebsorten – sowohl Chardonnay als auch Gamay und Riesling besitzen den Veteranen als Elternteil. Dass der Urahn selbst weitgehend in Vergessenheit geriet, ist nicht nur dessen knorrigem Charakter, sondern auch den überragenden Eigenschaften der Nachkommen zu verdanken.

Riesling und Co. bringen nämlich in der Regel bessere Weine hervor. Was wiederum nicht bedeutet, dass man den Alten meiden muss. Monsieur Chanton schafft es, mit einem vergleichsweise niedrigen Anschnitt einen süffigen, frischen und durchaus animierenden Zechwein herzustellen. Nichts für die lange Lagerung, kein Prestigewein für festliche Gelegenheiten, aber ein spannender Rückblick in die europäische Rebsortenvergangenheit.

HIMBERTSCHA & LAFNETSCHA: WÜRZE PUR

Wer trotz aller Vorzüge keinen Gwäss in größeren Mengen konsumieren möchte, hat im Wallis alle Möglichkeiten. Himbertscha und Lafnetscha, zwei andere weisse Uraltsorten, kommen deutlich würziger und fülliger daher, können in guten Jahren kraftvolle, sehr eigenständige Weine ergeben.

Nicht zu vergessen die aromatischen, besonders für Süssweine geeigneten Amigne und Petite Arvine. Sie haben sich etabliert, sind bei Walliser Starwinzern wie Jean-René Germanier zu finden, werden bei offiziellen Anlässen ausgeschenkt. Nur aus dem Wallis heraus haben sie es kaum geschafft; anderswo in der Welt will man nicht so viel wissen von den Besonderheiten des zweisprachigen Tals.

Was die Roten angeht, erst recht nicht. Cornalin und Roter Eyholzer sind, was das flüssige Ergebnis anbelangt, so ganz anders als Merlot und Cabernet Sauvignon: eher dezent in der Farbe und voller Würze im Geschmack. Man muss sich beschäftigen mit solchen Spezialitäten, sollte sich auf Ungewohntes einlassen.

HEIDA STATT GEWÜRZTRAMINER

Was den Heida angeht, ist das Einlassen nicht mehr ganz so problematisch. Schliesslich kennen deutsche Weintrinker die Sorte bestens – wenn auch unter dem Namen Gewürztraminer. Beides sind Ausprägungen einer einzigen Rebe: Gewürztraminer ist eine besonders intensiv duftende Spielart, bei Heida, auch als Savagnin Blanc oder Païen bekannt, fällt die Würze sehr viel dezenter aus. Vor allem dann, wenn die Rebe nicht im Talboden, sondern auf mehr als 900, sogar bis auf über 1.000 Metern Höhe wächst.

So hoch hinauf geht es im Wallis, was Weinbau angeht, nur in Visperterminen, und der Höhenanbau wird ausschliesslich durch die besonders gut zur Sonne ausgerichteten Lagen und das spezielle Klima der Region möglich. Hier oben, bei der St. Jodernkellerei, bekommt Heida eine ungewohnte Frische, die Säure ist deutlich zu spüren, der Alkohol bleibt verhalten. Rechnet man dann noch den Kuriositätenfaktor dazu, ist das Geschmackserlebnis kaum noch zu steigern.

Weingut Chanton, www.chanton.ch
Jean-René Germanier, www.jrgermanier.ch
St. Jodernkellerei, www.jodernkellerei.ch
Walliser Reb- und Weinmuseum, www.museevalaisanduvin.ch

Über den Autor

Wolfgang Faßbender ist seit 25 Jahren als freier Journalist in den Bereichen Wein und Gastronomie tätig. Der gebürtige Leverkusener hat mehr als 80 Bücher geschrieben oder herausgegeben, arbeitet für viele Zeitschriften und mehrere Zeitungen, testet sich als Restaurantkritiker durch die Welt.

Er pendelt zwischen seinen Wohnsitzen im Rheinland und Zürich.

Kommentare

Sicherheitscode eingeben:

Wolfgang Fassbender

Alles eine Rebsorte mit unterschiedlichen Ausprägung.

Christoph Landwehrs

... sehr schöner Artikel! Interessant, dass es den Urahn Weißer Heunisch – hier alias Gwäss – noch zu verkosten gibt. Da freu' ich mich, das bei Gelegenheit mal zu tun!

Ist es eigentlich korrekt, den Gewürztraminer (auch als „Gelber Traminer” bekannt) mit dem Heida (alias „Weißer Traminer”) gleichzusetzen? Diese Aussage hat mich überrascht.

Beste Grüße aus Köln
Christoph Landwehrs

Nach oben

Jetzt Facebook-Fan werden und keine Story verpassen

Jetzt Facebook-Fan werden

Jetzt den Weinclub.ch
Newsletter abonnieren

Immer auf dem aktuellen Stand - das Weinclub.ch Mailing kostenlos abonnieren.

Datenschutz wird bei uns gross geschrieben - wir geben Ihre Daten niemals weiter. Der Newsletter kann jederzeit gekündigt werden.