Unter den weissen Neuzüchtungen hat die Sorte mit dem in die Irre führenden Namen einen Sonderstatus. Umfangreiche Flächen werden zwar nicht mehr bewirtschaftet, aber was ambitionierte Winzer aus der von Georg Scheu verantworteten Kreuzung gewinnen, besitzt häufig Klasse und Stil – nicht nur im süssen Bereich und erst recht zum Jubiläum 2016. Zumal die korrekte Abstammung vor wenigen Jahren geklärt wurde!
Es gab eine Zeit, da galten Neuzüchtungen als letzter Schrei. In den Siebzigern des letzten Jahrhunderts propagierten die Weinbauberater Optima und Siegerrebe, Huxelrebe oder Ortega. Auch die Scheurebe erlebte einen Boom, weil die Experten gehobene Mostgewichte selbst in schlechten Jahren versprachen.
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Spät- und Auslesen sollten, so erzählte man den leichtgläubigen Winzern, zu Selbstverständlichkeiten werden. Nach den zum Grossteil unbefriedigenden Jahrgängen der Vergangenheit – 1962, 1963, 1965 oder 1968 gingen als unterdurchschnittlich bis katastrophal in die Annalen ein – waren die Winzer offen für solche Verheissungen und störten sich auch nicht daran, dass manche Verbraucher den Namen Scheurebe irrtümlich vom Adjektiv „scheu“ ableiteten und an einen besonders zurückhaltenden Tropfen dachten.
Karriere mit Hindernissen
Doch nicht immer entwickelte sich die Sache wie prognostiziert. Unreif geernete Scheurebe-Trauben ergaben zwar halbwegs brauchbare Zuckergradationen, aber leider auch Aromen, die wenig Spass machten. Schnell wurde der Begriff des Katzenpipis geboren, um die penetranten Duftnoten schlechter Scheurebeweine zu beschreiben.
Wenn die Beeren aber ausreifen konnten, rentierte sich die ganze Mühe. Spät- und Auslesen gelangen oft zur beiderseitigen Zufriedenheit von Winzern und Käufern, Beeren- und Trockenbeerenauslesen machten nicht nur in der Pfalz, sondern auch in Rheinhessen und Franken Karriere.
Irgendwann stellte sich dann auch heraus, dass die Angaben zur Herkunft falsch waren. Nicht Riesling und Silvaner waren die Eltern der Scheurebe, wie lange vermutet, sondern Riesling und Bukettrebe (auch Buketttraube genannt), welche wiederum aus Silvaner und Trollinger herangezüchtet wurde.
Georg Scheu, der Züchter und Namensgeber, dürfte sich am Kopf kratzen, erführe er heute vom Fehler, der ihm 1916 unterlaufen sein muss. Andererseits würde er auch ein bisschen stolz sein, denn die Sorte hat sich längst durchgesetzt – ungeachtet der Tatsache, dass die offiziellen Daten keinen Hinweis auf die Beliebtheit der Scheurebe geben: Von 4,4 Prozent der deutschen Rebfläche (1985) sank ihr Anteil auf nur noch 1,4 Prozent (2013).
Aromatische Alternative
Statistiken aber sagen oft nur die halbe Wahrheit, in diesem Falle höchstens ein Viertel derselben. Die ganze beinhaltet, dass ungeeignete Flächen umgepfropft oder aufgegeben wurden, während viele Winzer nun auf bessere Lagen setzen.
Reif werden die heutigen Scheurebe-Weine fast immer, erinnern im Duft an Sauvignon blanc, sprudeln Anklänge an schwarze Johannisbeeren oder Grapefruit, Holunder und Passionsfrucht hervor.
Penetrant ist da nichts, sofern die Erträge nicht zu hoch, die Moste nicht zu dünn ausfallen. Passt alles, gelingen auch trockene Scheureben in mineralischer Perfektion, während die süssen eine unnachahmliche Frische aufweisen – selbst in den allerhöchsten Kategorien des deutschen Weinrechts.
Fränkische Weingüter haben Scheurebe längst voller Stolz ins Programm integriert – wie bei Wirsching –, rheinhessische Topwinzer wie Klaus Peter Keller bieten sie gern als gehobene Einsteigerweine an, und im pfälzischen Weingut Pfeffingen denkt man nicht daran, die seit Jahrzehnten gepflegte Spezialität aufzugeben.
Sogar als Verschnittpartner taugt die Scheurebe: Der fränkische Winzerhof Stahl assembliert gern Scheurebe und Riesling oder gar Scheurebe, Müller-Thurgau, Silvaner und Riesling zu saftigen, nur dezent würzigen Weinen. Deutschlandweit hat sich die Aromasorte allerdings noch nicht durchgesetzt – an der Mosel oder im Rheingau fremdeln die Winzer –, und ausserhalb des Landes steckt die Karriere eh fest.
Allein Österreich lässt sich nicht lumpen, wenngleich man hier von S 88 oder Sämling spricht, da und dort findet man auch Schweizer Scheureben. Sie alle kann man gut gekühlt als Aperitif einsetzen, mit asiatischen Gerichten oder Fisch (samt Zitrusfrüchten?) kombinieren.
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Süsse Varianten eignen sich als Begleitung zu Blauschimmelkäse oder fruchtigen Desserts. Und wenn im kommenden Jahr das 100-jährige Jubiläum der Scheurebe gefeiert wird, dürften sich Winzer und Sommeliers noch ein paar zusätzliche Speisen-Wein-Kombinationen ausdenken.
Einer endgültigen Renaissance des manchmal missachteten Klassikers steht dann nichts mehr im Wege. Fast alle anderen hellfarbigen Neuzüchtungen – von Huxelrebe bis zu Ortega – hat Georg Scheus berühmteste Kreation dann links liegen gelassen.